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So sieht es die autorin
Die Geschichte von Maike habe ich unter dem Titel „Ein Leben für meine Tochter“ aufgeschrieben. Und das habe ich tatsächlich mit meinem ehemaligen Betreuer zusammen gemacht. Eine tolle und schöne Arbeit, die wir zusammen hinbekommen haben. Mir war die Wahrheit wichtig und der Titel stimmt. Ich hatte es für meine Tochter aufgeschrieben. Dann wollten wir es öffentlich machen, um Kindern und Jugendlichen Mut zu geben, ihr Leben in die Hand zu nehmen, auch wenn sie nicht in ihrer Familie aufwachsen können. Das wurde schwierig. Bereits in der ersten Version hatten wir eine minimale Anonymisierung von Personen und Orten vorgenommen. Auch wenn diese Version nur für Familie und Freunde gedacht war und unveröffentlicht blieb, wollte ich doch meine Familie vor Angriffen schützen. Mir war klar, dass die Offenlegung meiner Wahrheiten möglicherweise die ehemaligen Peiniger auf den Plan rufen konnte und ich wollte keine Angriffe, gleich welcher Art, auf meine Familie.
Wie funktioniert dann aber eine Veröffentlichung? Die Idee war, einen Roman aus meiner Geschichte zu schreiben. Er sollte den Titel „Vom Schweigen hört man nicht viel“ tragen.
Ich bin keine Schriftstellerin, René auch nicht. Wir haben das also in professionelle Hände gegeben. So entstand ein Roman, der als Roman bestimmt gut war. Darin wurde weiter anonymisiert, verfremdet, ergänzt und gestrichen, und das letzte Drittel fehlt ganz. Das war dann aber nicht mehr ich. Das war nicht meins. Das war nicht mehr meine Geschichte. Es war mir unerträglich, die Wahrheit so verfälscht zu lesen – und so wurde dieser Roman nicht veröffentlicht.
Ich bin angetreten, um die Wahrheit zu sagen. Kommt die Wahrheit nicht ans Licht, zerbricht man daran. Ich weiß, dass jeder seine eigene Wahrheit besitzt und ich weiß, dass damit gemeint ist, dass jeder Mensch die Welt anders sehen und erleben kann. Aber was passiert ist, ist passiert. Und es geschehen Dinge in dieser Welt, die nicht in Ordnung sind und die ans Licht müssen. Damit die Gewalt aufhört und Abwertung und Demütigung nicht fortgesetzt werden.
Nach all meinen Erfahrungen ging es darum, nicht mehr zu schweigen, denn vom Schweigen hört man nicht viel. Deswegen auch der Titel dieser Buchversion. Ich bin angetreten, andere zu ermutigen, ebenfalls die Wahrheit zu berichten. Kein Verleugnen, kein Wegducken, kein Verbiegen, keine Verharmlosung, kein Passendmachen, keine Käuflichkeit auf Kosten der Wahrheit – nicht umsonst heißt es von meiner Geschichte, sie sei eine wahre Geschichte und eine „Überlebensgeschichte“.
Warum ich dieses Buch „Überlebensgeschichte“ nenne, dürfte jedem jetzt klar werden. Es sind gerade Kinder und Jugendliche, die, aus welchen Gründen auch immer, ins sogenannte „Heim“ kommen, die mir am Herzen liegen. Sie kämpfen um ihr Überleben und müssen schnell erwachsen werden. Die Sozialarbeiter helfen ihnen, (wieder) ins Leben zu finden. Es gelingt nicht immer, aber viele finden in ein wundervolles Leben. Mit wundervoll meine ich auch, mit allen Höhen und Tiefen, die das Leben bietet. Ich, Maike, hatte dieses Glück in meinem Leben und ich habe es Mia und Berni in meiner Geschichte zukommen lassen.
Zur ganzen Geschichte gehört auch, dass wir bei der Anonymisierung geblieben sind, um den Peinigern und Verleugnern keine Chance zu ergeben, anzugreifen, zu verklagen, Shitstorms zu starten und Menschen zu verletzen und zu verhöhnen. Diese Anonymisierung ist aber keine Verzerrung der Wahrheit. Dabei sollte es auch bleiben.
Maike Oltmann